02.08., Sonntag: Calvert Creek - (Reifen-)Panne im Outback

Der Wecker klingelt wie immer um kurz nach 6 Uhr. Doch wir entscheiden spontan es heute etwas ruhiger angehen zu lassen. Für uns heißt das, dass wir erst gegen 7 Uhr aufstehen. Ganz gemütlich halt :)
Auf der Agenda für heute steht einzig die Genehmigung zu erhalten, mit der wir ins Northern Territory einreisen dürfen. Sollte uns der Grenzübergang gelingen, fahren wir noch maximal bis nach Borroloola. Von unserer derzeitigen Position aus, liegt das kleine Örtchen vier Autostunden entfernt.
Die ganze Nacht über haben wir kein einzigen Auto gehört und auch heute morgen kommt niemand vorbei. Wir packen das Zelt wieder in unser Provisorium ein. Das hat sich allerdings gestern bewährt und bereits Geschwindigkeiten über 80 km/h ausgehalten. 
Nach 30 km erreichen wir Doomadgee. Sofort schaltet Sarah den Flugmodus an ihrem Handy aus, doch wir kriegen auch hier kein Signal. Während wir an der einzigen Tankstelle im Ort für 1,70$/L volltanken und sicherheitshalber noch 10 Liter in den Kanister füllen, wird Cecil von einer Aborigine-Frau angesprochen. Wo wir hin wollen, fragt sie. Ins Northern Territory? Die Grenze sei wieder geschlossen, sagt sie. Doch alles wirkt sehr verworren. Wir können nur hoffen, dass das nicht wahr ist.
Im Laden ist es brechend voll. Hauptsächlich Aborigines stehen in zwei Schlangen an, vollbepackt mit Lebensmitteln und süßen Brausen. Als wir endlich an der Reihe sind, fragt Sarah beim bezahlen nach Wlan, um unsere “border declaration” abzuschicken. Die Frau hinter der Kasse fragt noch ihren Kollegen, doch der behauptet sie hätten kein WLAN. Das ist sehr enttäuschend. Vor allem da Sarah bereits vor dem Laden nach Netzen gesucht hat und eines namentlich eindeutig der Tankstelle zugeordnet werden konnte. Anscheinend will man uns hier nicht helfen.
Der Ort Doomadgee befindet sich auf Aborigine-Land und es herrschen hier andere Regeln. Reisende dürfen für Benzin hier anhalten, doch nicht in der Stadt verweilen. Möchte man bleiben, ist zunächst eine Erlaubnis einzuholen. Wir entscheiden trotzdem kurz durch das kleine Örtchen zu kreisen, in der Hoffnung ein Signal zu bekommen oder zufällig auf ein freies Wlan zu treffen. Zur Not behaupten wir einfach, wir hätten uns verfahren.  
Am Gemeindehaus im Zentrum des Ortes bekommt Cecil für einen kurzen Moment eine Verbindung zum Wlan. Die ist nicht gut, aber immerhin reicht es aus kurz die aktuelle Nachrichtenlage zu prüfen. Auf den ersten Blick ist nichts von einer erneuten Schließung der Grenzen zu finden. Dann bricht die Verbindung ab. Wir fühlen uns so oder so wie Schwerverbrecher, die jederzeit von der Polizei aufgegabelt werden könnten. Besser wir setzen unseren Weg fort. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Hell's Gate Roadhouse. Wenn das mal nicht mit dem Teufel zugeht. 
 
Es folgt eine sehr positive Erfahrung: Der Weg von Doomadgee nach Hell's Gate ist überraschenderweise durchgängig asphaltiert. Dem Flyer des Boodjamulla NP von 2018 nach, sollte es weiterhin über eine Gravelroad gehen. Eines muss man den Australiern lassen: Bei der Infrastruktur wird nicht gespart. Fast schon etwas traurig, wenn man sich vorstellt, dass bald alle Schotterpisten mit Asphalt überzogen sind. Zwar sind sie manchmal etwas zu ruppig, doch gehören sie einfach dazu. Für den Moment wollen wir uns allerdings nicht beschweren. Es warten noch genug Gravelroads auf uns. 
Die Freude hält allerdings nur kurz. Am Roadhouse angelangt, haben wir noch immer kein Netz. Immerhin wurde aber sogar auf Schildern am Straßenrand damit geworben, dass es hier WiFi gibt. Wir fragen drinnen danach, doch kriegen überraschend eine Absage. Kein WiFi. Wir erklären, wofür wir es brauchen. Der junge Mann hinterm Tresen (ganz bestimmt ein gestrandeter Backpacker) meint gehört zu haben, dass sie die Grenze heute wieder schließen. Heute um 12 Uhr mittags. Es ist jetzt halb 12 Uhr. Das darf alles nicht wahr sein. Queensland würde seine Grenze auch wieder dicht machen. Sollten wir also ins Northern Territory gelangen, gäbe es kein Zurück mehr. Das ist uns allerdings herzlich egal. Da uns die Verzweiflung wohl mittlerweile ins Gesicht geschrieben steht, fragt er einen anderen Mann, der im Nebenraum auf einem Sofa vor seinem Laptop sitzt. Der meint die Grenze sei noch offen. Alles Status Quo. 
Bleibt nur noch das Problem zu lösen, wie wir unsere “border declaration” abschicken sollen. Wenn wir Telstra hätten (der größte Mobilfunkanbieter in Australien), müssten wir hier angeblich 4G-Empfang haben, wenn das vom Handy unterstützt wird. Vor dem Laden versuchen wir es erneut. Nachdem Sarahs Handy weiterhin kein Signal bekommt, versuchen wir es mit dem Telefon von Cecil. Mit dem selben ernüchterndem Ergebnis. Erneut fragen wir drinnen nach Wlan und stoßen dabei auf eine Anleitung, wie man in das sogenannte “Roaming Wifi” kommt. Das entsprechende Netz hat Cecil bereits mehrfach gesehen. Allerdings muss man sich dafür registrieren und Datenvolumen kaufen. Mangels Alternativen schlucken wir diese Pille und kaufen 200 MB für 5$. 
Auf dem digitalen Fragebogen, den wir kurz darauf ausfüllen, müssen wir wie gewohnt unsere persönlichen Daten angeben. Als Wohnadresse wird nur eine australische akzeptiert, daher nehmen wir erneut die Adresse von Cornelius Schwester in Sydney. Zudem muss man eine Adresse im Northern Territory angeben, unter der man in den ersten 14 Tagen erreichbar ist. Mit Hilfe von Camper-Mate wählen wir dafür einen Campingplatz in Grenznähe aus. Soweit kennen wir das Spiel bereits von unserem Antrag nach Queensland einreisen zu dürfen. Neu ist das man angeben muss, wo man sich in den letzten 28 Tagen aufgehalten hat. Ihr erinnert euch sicher, dass wir die genaue Liste darüber bereits im Vorfeld mithilfe der im Tagebuch notierten Orte und Campingplätze angelegt haben. Jetzt nur noch ein paar Haken setzen, mit denen man bestätigt sich in den letzten 14 Tagen weder im Ausland noch in einem sogenannten “Hot-Spot”-Gebiet aufgehalten zu haben. Ganz besonders wird bei letzterem Victoria hervorgehoben, wo es kurz nach den ersten Lockerungen zu einer zweiten Infektions-Welle kam. Nachdem alles ausgefüllt ist, hat Cecil sofort seinen “Border pass” in digitaler Form per Email auf dem Telefon.
Wir wiederholen die Prozedur für Sarah und auch bei ihr klappt dieses Mal alles auf Anhieb. Erst jetzt stoßen wir auf das Kleingedruckte. Der Pass muss in jedem Fall ausgedruckt werden, ansonsten muss das Dokument an der Grenze erneut ausgefüllt werden. Cecil meint vorhin ein Inkjet-Wlan gesehen zu haben. Wir fragen daher nach einem Drucker, aber kriegen erneut eine Absage. Haben wir uns den ganzen Stress jetzt etwa umsonst gemacht und auch noch 5$ dafür bezahlt? Wenn dem so ist, wäre es jetzt auch egal. Immerhin haben wir bereits unsere Bestätigung in der Hand. Was sollte an der Grenze jetzt noch schiefgehen?
 
Die letzten 50 km zur Grenze legen wir wieder über eine standesgemäße Gravelroad zurück. Die “courugations” sind teilweise sehr tief. Die Vibrationen und der Lärm sind dementsprechend ermüdend. An der Grenze werden wir von zwei Polizisten empfangen. Am Wegesrand warten sie unter einem schattenspendenden Pavilion auf die paar Seelen, die hier die Grenze passieren. Da wir keinen Ausdruck dabei haben, müssen wir tatsächlich das gleiche Formular erneut per Hand ausfüllen. Immerhin haben wir bereits die essentielle “Arrival-Number” von unserem Online-Antrag erhalten. War es wohl doch zu etwas Nütze. Geduldig warten die zwei Beamten bis wir alles eingetragen haben. Dann begrüßen sie uns mit einem herzlichen “Welcome to the NT” und wir sind “good to go”.
 
Langsam rollen wir über die imaginäre Linie, die Queensland vom Northern Territory trennt. Dann haben wir es tatsächlich geschafft. Wieder eine Grenze passiert. Ein neuer Staat wartet darauf, von uns entdeckt zu werden. Kurz müssen wir an die Frau in Doomadgee und den Typen vom Hell's Gate Roadhouse denken. Es kursieren wirklich eine Menge Gerüchte zu der Situation an den Grenzen. Zu unserer Freude waren alles Fehlinformationen. Wir sind drüben. Alles ist gut.
Sogar die Gravelroad ist plötzlich besser. Allerdings passieren wir zwei mal Stellen, die mit sogenanntem “bull dust” bedeckt sind. Dabei handelt es sich um extrem feinen Sand, eher Staub wie der Name schon sagt. Da muss man aufpassen, nicht stecken zu bleiben. Schaut man dann in den Rückspiegel, stäubt es spektakulär. Fast wie bei einem Holi-Festival. 
Auf halber Strecke nach Borroloola legen wir einen kurzen Stopp ein, um auf dem Tablet nach möglichen Camps für die kommende Nacht zu schauen. Wir überlegen, ob wir noch bis nach Borroloola fahren. Das liegt aber noch mindestens zwei Autostunden entfernt. Ob es da eine Campingmöglichkeit gibt, können wir zudem nicht mit letzter Gewissheit herausfinden. Vielleicht suchen wir doch wieder nach einem Buschcamp? 
All diese Fragen erübrigen sich schlagartig. Denn während wir so dastehen, unseren Cookie mümmeln und aufs Tablet schauen, bemerkt Sarah im Augenwinkel, daxs der linke Hinterreifen heute besonders schlapp aussieht. Wir haben öfter das Gefühl, dass die Reifen etwas platt aussehen, doch meistens stimmt der Luftdruck. Außerdem ist etwas weniger Druck genau richtig, wenn man auf einer Gravelroad unterwegs ist. Doch sie hat schon recht. Heute sieht der Reifen besonders platt aus…
7 km vor uns liegt laut Campermate der erste freie Campingplatz nach der Grenze. Wir erreichen diesen nach einer Brücke. Bereits im Vorfeld können wir weitere Camper ausmachen. Der Platz ist klein und uns das Ganze irgendwie unangenehm. Die Vorstellung nur wenige Meter von den anderen Campern in den Busch zu Pinkeln ist nicht sehr prickelnd. Kurz vor der Brücke hat Cecil noch einen weiteren potentiellen Stellplatz ausgemacht. Wir fahren dorthin zurück und werden Wohl oder Übel die Nacht hier verbringen müssen, da der Reifen in der Tat nun noch platter wirkt. Unser erstes Abenteuer im Northern Territory wird daher darin bestehen einen Reifen mitten im Outback zu wechseln. 
Völlig ungeachtet unserer Notlage knallt uns die Sonne mit voller Kraft auf den Detz. Dazu ist alles voller Kuhfladen. Das wird ein wahres Vergnügen. In der Hoffnung dadurch etwas Schutz vor der Sonne zu erhalten, bauen wir das Awning auf. Den Dung in unmittelbarer Nähe räumt Sarah mit der Schaufel weg. Zwar hat Cecil bereits etliche Male die Reifen an seinem Seat gewechselt, doch waren die Bedingungen dabei meist deutlich besser. Vor allen herrschte kein Zeitdruck durch einen Reifen der offensichtlich Luft verliert. Sicherheitshalber wird daher noch in aller Kürze das Handbuch studiert.
Als Erstes nehmen wir den Ersatzreifen ab. Um in dem sandigen Untergrund eine ebene und belastbare Fläche für den Wagenheber zu schaffen, bauen wir unsere gusseiserne Grillplatte aus. Nachdem die Radkappe ab ist und die Muttern gelöst sind, ist kaum noch Luft im Reifen. Höchste Zeit den Wagenheber in Position zu bringen. Cecil kriecht unters Auto und findet schnell eine geeignete Stelle an der Hinterachse. Da die Stange, mit der der Wagenheber hochgepumpt wird recht kurz ist, muss Cecil zwischen Reifen und Radkasten hindurchgreifen. Während er pumpt, kontrolliert Sarah das Auto und Wagenheber an Ort und Stelle bleiben. Irgendwann lässt sich Koby nicht weiter anheben, doch es reicht gerade so. 
Nachdem die Radmuttern endgültig ab sind, will der Reifen partou nicht von der Achse. Immer doller reißt und ruckelt Cecil an der Felge, doch es hilft nichts. Das ganze Auto wackelt jedoch bedenklich hin und her. Der letzte Radwechsel ist wohl eine ganze Weile her. Mittels Rost sind Felge und Achse eine untrennbare Verbindung eingegangen. Abgesehen von der extremen Anstrengung knallt auch die Sonne noch immer gnadenlos. Das Awning wirft zwar einen Schatten, jedoch auf eine völlig unangebracht Stelle. Soll es das jetzt gewesen sein? Gestrandet im Outback, da wir das Rad nicht von der Achse kriegen?
Recht verzweifelt ziehen wir uns kurz in den Schatten eines nahen Baumes zurück. Nachdem wir dort wieder einen Hauch Kraft getankt haben, versucht es Cecil ein letztes Mal. In diesem Versuch umfasst er die unteren Speichen der Felge und fast mühelos kommt ihm der Reifen entgegen. Erleichterung. Es kann weitergehen. 
Doch schon kurz darauf das nächste Problem. Zwar haben wir irgendwie den kaputten Reifen lösen können, doch den prall gefüllten Ersatzreifen kriegen wir jetzt nicht rauf. Zu tief liegt die Radnabe. Wieder kommt die Schaufel zum Einsatz und wir graben ein kleines Loch unter der Aufhängung. Dann passt es. Cecil öffnet das Ventil am Wagenheber und das ganze Auto sackt schlagartig ab. Ziemlich gruselig, wenn man noch darunter liegt. Sollten wir jemals wieder einen Reifen wechseln müssen, machen wir dass das nächste Mal besser irgendwie anders. Zumindest sollte keiner mehr unter dem Auto liegen... 
 
 
Nachdem alle Muttern festgezogen sind und das kaputte Rad am Kofferraum hängt, sehen wir aus wie die Schornsteinfeger. Ohnehin schon tierisch am Schwitzen hängen wir perverserweise direkt unsere Plank-Challenge an. Im Unterarmstütz werden mittlerweile immerhin 90 Sekunden von uns abverlangt. Während Cecil im Anschluss gute 20 Minuten braucht sich mit Feuchttüchern einigermaßen sauber zu kriegen, macht Sarah noch weiter Sport und Yoga. 
Als wäre der Tag nicht bereits aufregend genug gewesen, entdeckt Cecil beim Aufräumen, dass sich ein ganzes Ameisen-Volk in unserer Kiste mit dem Kochgeschirr eingenistet hat. Diese müssten wir mangels Alternativen auf dem Boden abstellen, um an die Grillplatte zu gelangen. Durch einen kleinen Riss am Boden der Kiste sind sie dann innerhalb der vergangenen Stunde ungehindert einmarschiert. Es hilft nichts. Alles muss raus und ausgewischt werden bzw. die Ameisen werden weggepustet. Nachdem alles ameisenfrei und wieder an seinem Platz ist, muss sich Cecil erneut sauber machen. Eigentlich sollte man es hier im Outback gleich aufgeben. So richtig sauber wird man bei dem ganzen Staub wohl nie. Immerhin müssen wir dank der Feuchttücher kein kostbares Wasser für die Reinigung verwenden. 
Aprospos Staub im Outback. Der sorgt jetzt auch für ein hervorragendes Camouflage-Muster auf unserem Zelt. Da wir den Reißverschluss nicht mehr zukriegen, kommt er durch alle Ritzen und setzt sich in dem rauen Stoff fest. Ehrlich gesagt finden wir den neuen Farbton gar nicht so schlecht.
 
 
Nachdem der stressige Teil des Tages wohl hinter uns liegt, sortiert Sarah Fotos am Laptop und Cecil schreibt Stichpunkte. Das allein dauert fast eine Stunde. Ganz schön was los gewesen heute. Nach dem Abendessen quatschen wir noch ein wenig über Filme und Serien. Wie wir auf dieses Thema kamen, wissen wir nicht mehr. Doch wir landen am Ende bei GZSZ und finden heraus, dass Cecil wohl schon deutlich vor Sarah diese Soap geschaut hat. 
 

 
 
Von diesem Gespräch inspiriert, machen wir uns fertig, gehen hoch ins Zelt und gucken noch eine Folge unserer Serie. Mehr ist heute nicht drin. Gegen 21 Uhr schalten wir das Licht aus und holen unseren wohlverdienten Schlaf.

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