06.08., Donnerstag: King Rest Area (südl. von Katherine) - Und täglich grüßt ein platter Reifen

Die vergangene Nacht verbrachten wir geplagt von Alpträumen. In diesen ging es vor allem um irreparable Reifenschäden mitten im Outback. Das Aufstehen fällt daher heute nicht sehr schwer. Cecil ist als Erster unten und nimmt den Klapptisch weg, den wir immer am hinteren rechten Reifen anlehnen. In diesem Moment wird der Alptraum zur Realität. Der Reifen ist platt. 
Ganz genau. Der Reifen, den wir gestern erst gewechselt haben, ist heute ebenfalls platt. Ein kurzer Kniff in den Arm, doch Cecil wacht nicht auf. Er steht immer noch vor dem platten Reifen. Fassungslos. Wir haben keinen Ersatzreifen mehr und es sind noch 170 km bis zum nächsten Ort. 
Sarah bleibt die Tragödie natürlich nicht lange verborgen. Sie kann anhand der Kommentare, die Cecil unten abgibt, klar nachvollziehen was passiert ist. Dabei hatte sie doch gestern eine Sternschnuppe gesehen und sich gewünscht, dass wir in Zukunft keinen platten Reifen mehr haben. Natürlich erzählt sie das Cecil erst jetzt. Leider hat es trotzdem nicht geholfen. Das Einzige was jetzt hilft ist der Kompressor. Wir geben so viel Luft auf den Reifen, wie es nur geht, damit die Felge keinen Schaden nimmt. 
Dann frühstücken wir erstmal. Doch eigentlich ist uns schlecht bei dem Gedanken, was uns jetzt bevorsteht. 
 
 
50 Km Gravelroad mit einem kaputten Reifen und ohne Ersatzreifen in petto. Zum Glück haben wir von Coen das Reparatur-Set bekommen. Vielleicht rettet uns das bis ins Dorf. Der Reifen ist schnell demontiert und das Loch mit Hilfe von ein wenig Seifenwasser nicht schwer zu finden. Zum Glück scheint es nicht sehr groß zu sein. Das Flicken wird trotzdem zur Herausforderung. 
Mit einem Bohrer, ähnlich eines Flaschenöffners, gilt es zunächst das vorhandene Loch zu vergrößern. Es fühlt sich falsch an, dieses scheinbar kleine Loch auf gute 4 mm aufzubohren. Dazu ist es extrem anstrengend. Mit seinem ganzen Gewicht muss sich Cecil auf den Bohrer stützen. Fast geben wir auf, da ein Durchkommen unmöglich scheint. Ein letzter verzweifelter Versuch und der Reifen gibt endlich nach. 
Als nächstes muss mit einer Art Zange ein Streifen Gummi in das Loch eingeführt werden. Doch hier stößt Cecil endgültig an seine Grenzen. Es scheint absolut unmöglich die Zange einzuführen. Erneut kommt der Bohrer zum Einsatz. Da der Schaden eh schon entstanden ist, gibt es jetzt keine Zurückhaltung mehr. In frenetischen Bewegungen wird gebohrt und das Loch in einer pumpenden Bewegung so groß wie möglich gemacht. Dann endlich lässt sich der Streifen einsetzen. Mit dem Messer an seinem Tool schneidet Cecil die überstehenden Enden ab. 
 



 
Während Sarah den Abwasch macht und Cecil das Werkzeug zusammen packt, trocknet der “Gummi-Zement”, den wir zuvor auf den Streifen aufgetragen haben. Es folgt der Moment der Wahrheit. Wir pumpen den Reifen auf und tatsächlich scheint er den Druck zu halten. Was für eine Erleichterung. Ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass eine solche Punktur einen jetzt und in Zukunft nicht mehr aufhalten kann.
Statt der vermuteten 50km Gravel sind es zum Glück nur 30km auf der Schotterpiste. Doch die waren bereits die Hölle. Cecil hat versucht jedem noch so kleinem Stein auszuweichen und die Corrugations so gut es geht zu umfahren. Auf dem Weg haben wir zweimal angehalten, um zu prüfen, ob noch alle Reifen genug Luft haben. Der Asphalt, den wir jetzt endlich erreichen, ist eine wahre Erlösung. Das Risiko eines Reifenschadens sinkt schlagartig und der Puls geht auf ein normales Niveau zurück. So normal wie er eben wird, wenn man zum ersten Mal mit einem selbstgeflicktem Autoreifen unterwegs ist. 
Es ist Zeit die Reifen wieder auf den normalen Luftdruck aufzupumpen. Wir passieren eine Rest-Area, die dafür prädestiniert scheint. Doch Cecil ist sich nicht sicher, ob wir wirklich bereits von der Gravelroad runter sind. Oft genug sind nur kurze Stücke der Straße asphaltiert. Z.B. um diese vor Auswaschungen bei Hochwasser zu schützen. Nach 5 km auf durchgehend geteerter Straße sind wir uns allerdings einig, dass wir die Reifen aufpumpen sollten. An einer geeigneten Stelle bringen wir Koby zum Stehen, packen den Kompressor aus und geben mehr Druck auf die Reifen. 
Ein leichtes Missvertrauen gegenüber unserem geflickten Reifen bleibt allerdings bestehen. Daher sind wir auch mit angepasstem Luftdruck nicht schneller als mit 80 km/h unterwegs. In einer speziellen Situation, die sich kurz darauf entfaltet, verhindert das große Leid. Dieses Mal wären wohl kaum unsere Reifen betroffen. Viel mehr hätte ein großer Falke das Nachsehen gehabt. Dieser taucht nach einer Kuppe plötzlich in unserem Sichtfeld auf. Mitten auf der Straße labt er sich an einem überfahrenem Tier. Genau wie wir ist er sichtlich überrascht, will aber offensichtlich seine “Beute” nicht zurücklassen. Doch mit dem toten Tier zwischen den Krallen, kommt er kaum vom Fleck. Wir müssen stark abbremsen. Der Falke lässt endlich seine Beute los, schafft es mit äußerster Mühe über die Motorhaube zu steigen und gleich darauf nach links abzuschwenken. Das war knapp. Wir schauen uns ungläubig an und rufen uns denselben Satz entgegen: “Wir brauchen unbedingt eine Dashcam!”
 
Wir erreichen Mataranka nach gut 1 ½ Stunden Fahrt. Bereits am Ortseingang passieren wir eine Werkstatt. Doch es gilt erstmal zu checken, ob es Konkurrenz gibt. Wir halten etwas weiter an der Tankstelle und tanken 39 Liter für je 1,28$ auf. Damit schaffen wir es dann bis nach Katherine, wo wir auf noch günstigeren Treibstoff hoffen. Sarah ist dran mit Bezahlen und neben der Rechnung kommt sie mit einer Portion Pommes zurück. Wenigstens das Loch in unseren Mägen ist damit zunächst gestopft. Die Frau hinter dem Tresen hat uns zudem noch bestätigt, dass es nur die eine Werkstatt gibt, die wir bereits auf dem Herweg gesehen haben.
Einigermaßen gestärkt, überlegen wir wie es jetzt weitergeht. Eine Reifenreparatur in diesem kleinen Dorf stellen wir uns teurer vor als in Katherine. Bis dorthin würden wir uns zutrauen mit dem geflickten Reifen zu fahren. Eigentlich wollen wir aber noch den Elsey NP anfahren. Der ist allerdings nur über eine 18 km lange Gravelroad erreichbar. Um uns dieser Möglichkeit nicht vorab zu berauben, fahren wir zurück zur Werkstatt am Ortsrand.
Cecil erkundigt sich nach den Preisen. Mit 44$ für eine Reparatur und 285$ für einen neuen Reifen sind die Preise hier deutlich höher als im abgelegenen Borroloola. Bevor wir eine Entscheidung treffen, schauen wir uns Bilder des Elsey NP an. Sarah bringt zudem ein gewichtiges Argument in die Diskussion ein: Falls Western Australia seine Grenze nicht zeitnah öffnet, werden wir wohl zwangsläufig unseren Weg durchs “Red Center” nach South Australia antreten und kommen wieder am Elsey NP vorbei.
 
Wir könnten allerdings trotzdem in den Genuss eines kühlen Bades kommen. Sarah entdeckt während unserer Überlegungen die Bitter Springs. Nur 4 km von unserem derzeitigen Standort entfernt und über eine vollständig asphaltierte Straße erreichbar, kann man dort in einem natürlichen Wasserlauf schwimmen. Das kommt einer Dusche so nah, wie es derzeit nur eben geht. Wir entscheiden uns für das Bad im Fluss und gegen eine teure Reparatur des Reifens.
Der Parkplatz an den Bitter Springs ist recht voll. Doch wir finden einen für uns perfekten Stellplatz: Kofferraum im Schatten und Solarpanel auf dem Dach in der Sonne. In Rekordzeit schlüpfen wir in unsere Badesachen. Wir können es nicht erwarten, endlich die reinigende Wirkung des Wassers zu erfahren. Sarah klemmt sich noch ihre baue Schwimmnudel unter den Arm und los geht's. 
Die “Bitter Springs” bestehen im Grunde aus einem etwa 3 m breiten Fluss warmen Quellwassers, den man sich wohl zu jeder Zeit mit zahlreichen anderen Badegästen teilen muss. Ein naher Campingplatz (kostenpflichtig) sorgt für einen nicht enden wollenden Strom Touristen, die sich die 150 Meter Fußweg aufbürden, um in den Genuss einer kurzen Erfrischung zu kommen. Bevor sie zurück in das Refugium ihres vollklimatisierten Glampers zurückkehren.
Lässt man sich vom Einstiegspunkt ein wenig flussabwärts treiben, könnte man schnell vergessen nicht alleine an diesem wunderbaren Ort zu sein. Ganz entspannt treibt man über das Wasser. Es ist richtig idyllisch. Nur gelegentlich stößt man an Äste und Bäume, die im Fluss versunken liegen. Spinnennetze riesigen Ausmaßes inklusive riesiger Bewohner dagegen unterqeurt man mühelos. Cecil hat mehr mit den Hindernissen unter Wasser zu tun, während Sarah auf ihrer Schwimmnudel mehr Angst davor hat, ein tief hängendes Spinnentz zu Streifen. Aber wir können leider nicht vergessen... Es ist einfach viel zu voll. Wo man auch hinsieht, sieht man andere Menschen. Dicke Männer, die an Land nicht mal mehr aufrecht stehen können, treiben wie Bojen durch den Fluss. Kinder tauchen völlig unvermittelt direkt neben einem auf und grinsen blöd mit einer Taucherbrille im Gesicht. Wir genießen es wohl eher, dass wir uns mal wieder ordentlich waschen können, als das Baden oder den Ort an sich.
 

 

 
Halbwegs frisch steigen wir widerwillig in unsere alten Klamotten. Eine richtige Dusche ist morgen in Katherine geplant. Wir sind weiterhin mit unseren 80 km/h unterwegs, obwohl 130 km/h erlaubt sind. Doch noch haben wir keine neuen Reifen und Sicherheit geht vor. 
Die Rest-Area, die wir kurz darauf erreichen, liegt zwar direkt an der Straße, ist jedoch bisher nahezu menschenleer und wir finden daher mühelos einen Platz mit ausreichend Sonne. Trotz der teils extremen Hitze präferierenwir diese Variante, da wir so sicher die dringend benötigte Energie bekommen. Wenn auch die Wärme der Sonne im gleichen Moment unseren Kühlschrank auf eine harte Probe stellt. 
Hart gestaltet sich heute auch die Plank-Challenge. Nicht selten gilt es über Minuten in einer Position zu verharren. (Wer mal einen Blick darauf werfen mag: “Plank Training” ist der Name der App; Fortgeschritten). Wie üblich macht Sarah danach noch weitere Workouts und Yoga. Vielleicht kommt das hier im Tagebuch eher als Nebensatz daher, doch ihr unglaublicher Wille sollte an dieser Stelle einmal gewürdigt werden. Während Cecil bereits völlig selbstzufrieden dasitzt und vielleicht noch seine Drohne säubert, trainiert Sarah weiter. Jeden Tag. 
 
 
Nachdem wir uns unweigerlich auf dem Weg nach Katherine befinden, ist es an der Zeit zu überlegen, was wir neben den Reifen noch alles in Ordnung bringen müssen, bevor wir uns in das nächste Offroad-Abenteuer stürzen. Sofort fallen uns wie gestern da Dinge ein, wie der kaputte Reißverschluss an der Zeltplane und die rotleuchtende “Check-Engine”-Lampe. Abgesehen davon könnten wir zwei aber auch mal eine kleine Pause vertragen. Einfach mal zwei Nächte oder mehr an einem Ort verbringen. Doch die Umgebung um Katherine ist nur spärlich mit kostenlosen Campingplätzen versorgt. Eine abschließende Entscheidung, wie es die nächsten Tage weitergeht, kann heute nicht mehr getroffen werden. 
Es ist bereits dunkel, während wir unter ständigen Attacken der zahlreichen Insekten unsere Tütensuppen (unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu) schlürfen. Da wir keine Lust haben, uns nach dem Essen weiter dieser Angriffe auszusetzen, bauen wir schnell das Zelt auf und begeben uns nach oben. Hier machen wir uns zunächst an die Einkaufsliste für morgen. Im Anschluss sortiert Sarah Bilder und Cecil schreibt weiter am Tagebuch. Bereits nach kurzer Zeit ist die Luft zum Schneiden dick. Doch das nehmen wir in Kauf. Im Gegenzug haben wir keine Probleme mit nachtaktivem Viehzeug.
Doch apropos Luft. Als wir gegen 23 Uhr zum Zähneputzen das Zelt verlassen, müssen wir (obwohl wir es selbst nicht glauben wollen) feststellen, dass der Reifen hinten rechts wieder Luft verloren hat. Es folgen ein paar Minuten erfüllt von Ungläubigkeit, Verleumdung und Resignation. “Nee, der ist nicht wirklich platt.”. “Glaub ich jetzt nicht… das kann nicht sein!”. “Was machen wir denn jetzt? Unser Ersatzreifen hat immer noch einen 7 cm langen Riss.”
Wir können uns gerade noch einmal so zusammenreißen und sind uns einig, dass ein Versuch den Reifen zu flicken jetzt im Dunkeln utopisch ist. Stattdessen geben wir jetzt nochmal ordentlich Luft drauf und hoffen, dass es bis morgen früh hält. 
Wer jetzt noch eine “gute Nacht” wünscht, kann es nur sarkastisch meinen. Gute Nacht.

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