04.08., Dienstag: Southern Lost City Campground - Ein springender Jack

Der kaputte Reifen hat die Nacht erstaunlich gut überstanden. Leider können wir das von unserem Toast und der Avocado nicht behaupten. Beides ist verschimmelt. Ein schmerzlicher Verlust. Das Frühstück verkümmert von einem alltäglichen Fest zu einer reinen Nahrungsaufnahme. Bevor es losgeht, pumpen wir erneut den Reifen auf. Dann rollen wir langsam los. Bis nach Borroloola gilt es knappe 7 km zurückzulegen. 
Es werden recht quälende Kilometer. Wir halten an der Tankstelle direkt am Ortseingang und erkundigen uns erneut nach einem neuen Reifen. Die etwas ältere Frau, die uns heute gegenüber steht, schaut uns mitleidig an. Ihr einziger Mechaniker ist aktuell für zwei Wochen im Urlaub. Wir ärgern uns kurz über den unfähigen Kollegen, der uns gestern noch auf heute vertröstet hat. Doch was soll's. Hoffentlich hat die einzige andere Werkstatt im Ort offen. Weitere 1,2 km müssen wir fahren, bis wir “TJ's” erreichen. Dort war gestern ebenfalls geschlossen. 
Wir parken vor dem Laden, der gottseidank heute geöffnet hat. Einer der zwei Mitarbeiterinnen versuchen wir so gut es geht unsere Situation zu schildern. Sie scheint zu verstehen, doch ihre Antwort ist niederschmetternd. Den letzten passenden Reifen hat sie heute morgen bereits verkauft. Heute morgen? Es ist 9 Uhr und der Laden öffnet um acht. Das darf nicht wahr sein. Die nächste Lieferung Reifen trifft am Donnerstag ein. Cecil muss eine kurze Rückfrage stellen, um sich dem aktuellen Wochentag bewusst zu werden. Es ist Dienstag. Das bedeutet wohl wir müssen zwei Tage hier ausharren. Mit einem Reifen, den wir mit einem Kieselstein und Klebeband geflickt haben. Das kann nicht die Lösung sein. 
Wir fragen die Verkäuferin, ob sie über ein Notfall-Reparatur-Set verfügen, mit dem wir es dann bis nach Crowford schaffen würden. Ein solches Set haben sie, doch würde sie es nicht für so eine lange Tour empfehlen (knappe 80 km), da sonst der Reifen irreparable Schäden nehmen könnte. Außerdem sei Crowford nur ein kleines Dorf ohne Werkstatt oder ähnliches. Diese Nachricht wäre enttäuschend gewesen, hätte es bei uns nicht bereits bei dem Satz davor klick gemacht. Irreparable Schäden? Warum nicht den Reifen reparieren lassen, anstatt gleich einen neuen zu kaufen? Darauf sind wir bisher nicht gekommen. Und die Mitarbeiterin der Werkstatt wollte uns auch nicht auf die Möglichkeit hinweisen. Auf eine Reifenreparatur angesprochen, ist sie sofort sehr hilfsbereit. Wir sollten den kaputten Reifen einfach zum Laden bringen. Dann könnte sie beurteilen, ob eine Reparatur möglich ist. 
Wir nehmen zunächst den kaputten Reifen von der Kofferraumklappe ab. Sollte eine Reparatur glücken, können wir direkt den geflickten Reifen anbringen und den nächsten Patienten anliefern. Die junge Frau inspiziert den Reifen kurz, meint dann, dass es ganz gut aussehe und verschwindet mit dem Pneu in Richtung Werkstatt. Ab jetzt warten wir gute 30 Minuten. Es kommt uns allerdings deutlich länger vor. Unsere Gedanken kreisen darum, wie es weitergeht. Mit und ohne Ersatzreifen... Zunächst hoffen wir jedoch, dass wenigstens einer der Reifen zu retten ist. 
Wir haben Glück. Der Schaden konnte ausgebessert werden. 35$ kostet uns die Reparatur. Ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass wir bereit waren einen neuen Reifen für 260$ zu kaufen. Wir sind ganz euphorisch und wollen direkt den anderen Reifen zur Reparatur anliefern. Der muss allerdings erstmal von der Achse. 
Der Wagenheber ist schnell platziert und Koby wird abermals angehoben. Ein wenig bewegt er sich nach vorne, doch wir nehmen das nicht ganz für voll. Bestimmt war er noch nicht komplett in der Parkposition. Wir stehen leicht abschüssig. Sicherlich bleibt jetzt alles an Ort und Stelle. Ohnehin ist Koby bereits weit genug angehoben. Cecil zieht den kaputten Reifen ab und Koby rollt erneut ein Stück. Es gibt einen lauten Schlag. Das Auto sackt kurz ab, doch bewegt sich dann zum Glück nicht weiter. Was ist jetzt los?
Anscheinend haben wir das Gefälle deutlich unterschätzt. Nachdem der Reifen ab war, gab es kein Halten mehr und Koby ist nach vorne gerollt. Der Wagenheber steht nicht mehr unter der Achse, sondern unter einer Stange, mittels der die Auspuff-Anlage am Wagen befestigt ist. Was für ein Glück. Andernfalls hätte es Übel ausgehen können. Sowohl für Koby, dessen Gewicht ansonsten jetzt auf der Bremsscheibe lasten würde, als auch für Cecil, der kurz davor noch halb unterm Auto gewerkelt hat. Das ist gerade so nochmal gut gegangen. 
 
 
Während Sarah den Reifen zur Werkstatt bringt, überlegt Cecil wie er das Dilemma wieder gerade biegen kann. Das Auto liegt in der jetzigen Position zu tief, um den reparierten Reifen zu montieren. Der Wagenheber lässt sich jedoch nicht weiter hochpumpen. Da hilft nur ein zweiter “Jack”. Kurzerhand fragt Cecil den jungen Mann neben uns um Hilfe. Der werkelt gerade an seinem Landcruiser rum, ist jedoch sofort sehr hilfsbereit. In der Zwischenzeit ist Sarah zurück. Für den zweiten Reifen sieht es laut der Verkäuferin jedoch nicht gut aus. Der Schaden scheint recht groß zu sein. 
Coen, so der Name unseres freundlichen Helfers, hat derweil seinen Wagenheber ausgepackt und gemeinsam schaffen wir es Koby wieder auf die Beine zu stellen. Zu unserer Freude konnte auch unser Ersatzreifen repariert werden. Da Coen ebenfalls den Limmen NP erkunden möchte, gehen wir spontan auf seinen Vorschlag ein, gemeinsam zu fahren. Immerhin sind alle Reifen für den Moment wieder Einsatzbereit. Es kann weitergehen. Aber ein zweites Auto für den Notfall kann auf jeden Fall nicht schaden. 
 
Bevor es losgeht, macht jeder noch die nötigen Besorgungen. Für uns heißt das hauptsächlich den Tank und die Kanister auffüllen. Bis zum nächsten Tankstopp in Roper Bar sind es zwar nur 400 km, jedoch wissen wir nicht wie sich das immer noch kaputte EGR-Ventil auf unseren Verbrauch auswirken wird und wie “offroad” es im Limmen NP zugeht. Sicher ist daher sicher. An der Dumpstation treffen wir uns wieder und füllen unsere Wasservorräte auf. Dann geht es los.
Kurze Zeit später erreichen wir den Abzweig nach Roper Bar durch den Limmen NP. Ein Schild weist darauf hin, dass es dort kein Benzin gibt. Bis zur nächsten Tankstelle, in Mataranka, sind es 570 km. Rechnen wir den Sprit in den Kanistern dazu, kommen wir auf eine Reichweite von ca. 630 km. Zu viele Abstecher können wir uns daher wohl nicht leisten. Aber es sollte passen. 
Da es ab jetzt nur noch über Gravelroads geht, lassen wir etwas Luft aus den Reifen. Das Risiko eines erneuten Reifenschadens durch spitze Steine sollte dadurch etwas sinken. Eines der Ventile scheint zu lecken, doch wenn man die Kappe fest zudreht ist nichts mehr zu hören. In guten 100 km will Cecil so oder so einen erneuten Stopp einlegen und die Radmuttern nachziehen. Dann werfen wir nochmal einen kritischen Blick auf diesen Reifen. 
Nach knappen 150 km teils sehr rauer Schotterpiste erreichen wir unser Ziel, den Campingplatz an der “Southern Lost City”. 
 
 
Zwischendurch haben wir wie geplant nach 100 km gehalten. Alle Muttern sind fest geblieben und der Reifen hat augenscheinlich keine Luft verloren. Den hiesigen Wanderweg wollen wir morgen früh angehen. Für heute reicht es uns erstmal.
Am Abend laden wir Coen zu einem Stockbrot am Lagerfeuer ein. Ihm scheint es zwar nicht sonderlich zu schmecken, nach dem ersten lehnt er dankend ab, doch wir unterhalten uns trotzdessen sehr gut. Wir erfahren, dass er ursprünglich aus Neuseeland stammt und hier in Australien zunächst 10 Jahre lang als Fleischer gearbeitet hat. Aktuell ist er Aufseher in einem Work-Camp in Tennant Creek. In solchen Camps werden Häftlinge auf ihre baldige Entlassung vorbereitet. Mit Jobs wie Müll am Straßenrand sammeln, werden sie erneut an einen geregelten Alltag herangeführt. Interessant ist, dass laut Coens Aussage 86% der Häftlinge im gesamten Northern Territory Aborigines sind. Bei ihm im Camp sind es sogar 100%! Das ist mal eine Statistik. Doch bevor das Gespräch zu politisch wird, wechseln wir das Thema. Zuvor hatten wir bereits Corona besprochen. Beides keine Themen für einen entspannten Abend am Lagerfeuer. 
 
 
Zum Glück finden wir noch anderen Gesprächsstoff, bevor Coen gegen 22 Uhr ins Bett geht. Wir bleiben noch ein wenig am schwindenen Feuer sitzen und gehen dann gegen Mitternacht hoch. Ein ereignisreicher und überraschender Tag geht zuende.

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