04.09., Freitag: Attack Creek (Stuart Monument) - Nächtliche Aufruhe
Wir haben große Hoffnungen heute morgen von einem Känguru begrüßt zu werden. Leider ist keines zu sehen, als wir recht früh aus dem Zelt klettern. Immerhin können wir normal frühstücken. Es ist noch alles essbar, obwohl die Nacht nicht sehr kalt war und der Kühlschrank natürlich aus. Doch eine Sache nervt uns langsam ziemlich: Der ganze Staub im Auto. Alles, bis in den letzten Winkel, ist extrem dreckig.
Während wir Zähne putzen, kommt doch noch ein Känguru vorbei. Nachdem wir ganz vorsichtig über das steinige Flussbett zurück zur Gravelroad gefahren sind, warten sogar noch ein paar mehr am Straßenrand.
Top Springs, im Grunde nur eine Tankstelle auf halbem Weg zwischen dem Judbarra NP und dem “Stuart Highway”, erreichen wir nach etwa zwei Stunden Fahrt. Der Weg war überraschend steinig. Zudem gab es viele tiefe Senken (sogenannte “Floodways” oder “Causeways”) zu durchfahren und im Boden eingelassene Viehgitter (“Grids”), zu überqueren. Bei Ersteren bremst man besser vorher ab, da die Kompression im tiefsten Punkt teils extrem ist. Bei Letzteren ist die Straße davor und danach oft stark beschädigt. Auch hier ist es angebracht, sicherheitshalber vor jedem Gitter die Geschwindigkeit stark zu reduzieren.
Der Liter bleifreies Benzin schlägt in Top Springs mit satten 2,20$ zu Buche. Wir tanken trotzdem ein klein wenig nach, da wir nie sicher sein können, wie sich unser Verbrauch auf Grund des defekten EGR-Ventil verhält. Vielleicht hätten wir es auch mit unseren Reserven in den Kanister geschafft, aber wir gehen besser auf Nummer sicher.
Der anschließende Abschnitt Gravelroad ist in einem deutlich besseren Zustand als zuvor. Cecil kann problemlos mit 80-100 km/h fahren. Nach ein paar Kilometern möchte Sarah ans Steuer. Die Gelegenheit nochmal mit Alli ein paar Aufnahmen während der Fahrt zu machen. Wir haben die ersten Einstellungen im Kasten, als es zu einem unerwarteten Problem kommt.
Alli definiert vor jedem Start einen “Homepoint” per GPS. Zu diesem kann sie zur Not selbstständig zurückfliegen. Zum Beispiel im Falle einer Signalstörung. Dieser Punkt dient Gleichzeitig dazu den maximalen Radius festzulegen, in dem sich Alli bewegen kann. So weit war das Cecil im Groben bekannt. Nur hat es bisher nichts zu Sache getan, da wir uns im Normalfall nie weit von dem “Homepoint” entfernt haben. Heute sieht das anders aus. Wir haben den 2 km Radius verlassen und Alli folgt uns nicht weiter. Sie bleibt einfach an der imaginären Linie in der Luft stehen.
Cecil probiert den “Homepoint” manuell zu aktualisieren. Starker Wind setzt ein und die entsprechende Warnmeldung erscheint auf dem Bildschirm. Kurz darauf kommt das laute piepen der Fernbedienung hinzu. Das ist das Zeichen, dass der Akku von Alli fast leer ist. Es bleibt daher keine Zeit mehr in den Einstellungen nach einer einfachen Lösung zu suchen. Cecil springt aus dem Wagen und rennt die Gravelroad zurück. Halt durch Alli!
Der Untergrund ist viel weicher, als man aus dem Auto heraus vermuten würde. Stellenweise ist der Sand so tief, dass Cecil nur langsam vorankommt. Die Akkustandsanzeige steht auf 13% und noch immer ist Alli nicht in Sicht. Bei einer maximalen Flugzeit von 30 Minuten bleiben noch höchstens 3 Minuten, um sie zu erreichen. Cecil ist mittlerweile sehr weit vom Auto entfernt. Sarah beobachtet anfangs diese Love-Story mit etwas Vergnügen. Bis sie die Verzweiflung förmlich spüren kann, sodass sie entscheidet zu wenden, um ihn später einzusammeln. Sie hat keine Ahnung, was los ist, aber nach der Beobachtung im Rückspiegel erscheint das eine gute Idee. Endlich kann Cecil Alli hören und wenig später auch sehen. Er bedeutet Sarah noch weiter zu fahren, bis sie in dem 2 km Radius vom “Homepoint” zum Stehen kommt. Mit nur noch 4% Saft in den Zellen landet Alli auf der Motorhaube von Koby. Das ist gerade noch mal gut gegangen.
Die verbleibenden 100 km bis zum “Stuart Highway” bleibt Sarah am Steuerung und genießt sogar langsam ihre erste Gravelroad als Fahrer. Cecil muss erstmal wieder seinen Puls herunterbringen. Immer wieder wabern Schwaden aus extrem feinen Staub durch das Auto. Der kommt wohl durch den Kofferraum hinein und findet seinen Weg bis ganz nach vorne. Aber auch von dort, gelangt einiges in den Innenraum. Unsere Klimaanlage streikt immer noch, daher können wir nicht anders als mit geöffneten Fenstern zu fahren. An der nächsten Tankstelle am Highway können wir uns fast nicht halten, als wir uns gegenseitig anschauen. Durch den Staub haben wir beide stark rötliche Haare. Das hat sogar irgendwie was. Im Grunde ist es uns aber egal wie wir aussehen. Für den Moment sind wir nur froh dieses Abenteuer heil überstanden zu haben.
Für humane 1,45$/Liter tanken wir voll. Sarah holt uns eine Portion Pommes. Währenddessen bringt Cecil mit Hilfe des Kompressor die Reifen wieder auf einen asphalttauglichen Druck. Der ursprüngliche Plan sah vor, auf einer Rest Area in der Nähe zu campieren. Doch Cecil entscheidet spontan heute noch Strecke zu machen und bis kurz vor Tennant Creek zu fahren. An einem See, kurz vor der Stadt, locken kostenlose Duschen und eine Dusche könnten wir nun entgültig gut vertragen.
Es ist bereits 14 Uhr, als wir uns wieder auf den Weg machen. Vor uns liegen noch 260 km. Die Pommes essen wir daher während der Fahrt. Danach vertreiben wir uns die Zeit damit ein paar Geschichten vom Känguru-Hörspiel zu hören. Trotzdem verliert Cecil die Tankanzeige nicht aus den Augen. Der Verbrauch scheint wieder höher als normal zu sein. Dieses Ventil fängt langsam an zu nerven. Hoffentlich findet sich bald eine endgültige Lösung.
Wir erreichen die Rest Area kurz vor Tennant Creek gegen 17 Uhr. Es sind schon einige andere Camper vor Ort, aber wir finden noch ein Plätzchen. Das nächste Problem lässt allerdings nicht lange auf sich warten. Der Kofferraum lässt sich nicht öffnen. Bestimmt blockiert der ganze Staub den Mechanismus. Kurzfristig schaffen wir Abhilfe, indem wir ein paar Kisten von der Seitentür aus ausräumen, Cecil halb durch den Kofferraum klettert und die Tür von innen öffnet.
Im Inneren ist alles mit einer dicken Schicht roten Staub überzogen. Es ist noch einmal deutlich schlimmer als es gestern bereits war. Die Reinigung müssen wir trotzdem noch weiter aufschieben. Aus dem hiesigen Wassertank tröpfelt es nur und an den Toiletten gibt es ebenfalls kein Wasser.
Während Sarah Sport macht, versucht Cecil wenigstens das Gröbste an Dreck zu entfernen. Doch mit einem so begrenzten Vorrat an Wasser ist es ein aussichtsloser Kampf. Man verwischt den Staub eher, als ihn zu entfernen. Wir verschieben die Aktion deshalb schlussendlich auf morgen. Erste Station ist dann der Stausee und dort haben wir wohl zwangsläufig eine bessere Wasserversorgung. Auch wenn wir hoffen, es aus dem Hahn zu kriegen und nicht aus dem See schöpfen zu müssen.
Im Auto ist also alles staubig und ganz schön durcheinander gerüttelt. Doch auch wir befinden uns in einem recht desolaten Zustand. Noch immer sehen wir aus wie zwei schlechte Pumuckelimitatoren. Aber auch dagegen können wir aktuell wenig machen. Unter dem tröpfelden Hahn des Wassertanks versuchen wir den Staub so gut es geht aus den Haar zu waschen, damit nicht alles im Kopfkissen landet.
Zum Abendessen improvisiert Sarah heute ein wenig. Normalerweise kochen wir für mehrere Tage, aber mit der aktuellen Kühlschrankproblematik wollen wir kein vergammeltes Essen riskieren. Daher muss eine Eintagesportion her, ohne offene Lebensmittel zu produzieren. Es gibt Möhren und Kichererbsen aus der Dose. Dazu den Rest Pommes und für eine Sauce werden Pesto und Aioli zusammengemischt. Alles wird dann in der Pfanne gebraten. Das schmeckt erstaunlich gut. Im Anschluss bauen wir das Zelt auf. Danach müssen wir erneut an den Wasserhahn, um uns notdürftig zu waschen. Der Staub haftet an einem sobald man etwas im oder am Auto berührt.
Während Sarah bereits hoch ins Zelt geht um zu lesen, bleibt Cecil noch unten und schreibt Tagebuch. Gegen 21:15 Uhr taucht plötzlich ein Auto auf dem Platz auf. Es fährt so nah an Cecil vorbei, dass er fast Angst hat umgefahren zu werden. Es hält nur gut 1,5 m von ihm entfernt.
Die Tür öffnet sich und Cecil erkennt nicht mehr als einen Mann. Dessen erste Amtshandlung ist sich seinem T-Shirt zu entledigen und die Beine ins geöffnete Fenster der Fahrertür zu legen. Cecil versucht ruhig zu bleiben, doch die Sache ist ihm ganz und gar nicht geheuer. Es entwickelt sich ein sehr abstruses und eher einseitiges Gespräch. Der Fremde erzählt wirre Geschichten von korrupten Polizisten und unfreundlichen Mitarbeitern im Supermarkt von Tennant Creek. Da war er gerade noch und hat einem der Kassierer nach eigener Aussage damit gedroht, ihm den Schädel einzuschlagen. Weswegen, kann Cecil nicht ganz verstehen. Neben einer offensichtlichen Gewaltbereitschaft muss man ebenso kein Genie sein, um zu erkennen das hier Alkohol, Drogen oder sogar beides im Spiel sind. Hier und da unterbricht sein eigenes Rülpsen seinen Monolog, während er sich immer tiefer in seinen Sitz lümmelt. Cecil versucht höflich zu bleiben, aber nicht zu sehr interessiert zu wirken. Nach einer gefühlten Ewigkeit, lässt der Typ von ihm ab und macht sich wieder auf den Weg. Sarah hat währenddessen gebannt und ziemlich Angst erfüllt von oben gelauscht. Eine irgendwie gruselige Begegnung, doch wir gehen nicht davon aus, den Fremden wieder zu sehen. Ein mulmiges Gefühl bleibt dennoch.
Es ist bereits halb 11 in der Nacht, da bahnt sich das nächste surreale Ereignis an. Ein LKW fährt auf die Rest Area, die für solch lange Gefährte nicht ausgelegt ist. Ein Schild am Eingang verbietet sogar die Einfahrt. Doch hier ist er. Eine “Road Train” mit drei Anhängern und damit guten 30 m Länge. Für einen kurzen Moment macht es den Anschein als hätte der Fahrer seinen Fehler erkannt. Er stoppt und legt den Rückwärtsgang ein. Kurz darauf geht es aber wieder nach vorne und in unseren Wendekreis. In der engen Kurve kommt das gigantische Gespann erneut laut quietschend zum Stehen. Offensichtlich erkennt der Fahrer allmählich, in welche Situation er sich hier gebracht hat. Cecil schaut zunächst nur zu und macht Videos mit dem Handy. Doch lange kann er nicht an sich halten. Schnell holt er die Taschenlampe aus dem Korb oben im Zelt und geht auf den LKW zu.
Der Fahrer, der noch immer versucht die Lage aus allen möglichen Blickwinkeln zu sondieren, ist um die 50 Jahre alt, hat kurzes graues Haar, einen gepflegten Bart und ist auffällig schlank. Um es kurz zu machen: Kein typischer Brummifahrer, wie man ihn sich vielleicht vorstellen würde. Nachdem er es im Rückwärtsgang erfolglos probiert hat, dachte er, er könne wenigstens hier wenden. Er hat offensichtlich realisiert, dass die Rest Area nicht für LKWs ausgelegt ist. Erst recht nicht für “Road Trains”. Cecil bietet ihm seine Hilfe für das anstehende Wendemanöver an. Natürlich hat er keinerlei Erfahrung darin, aber im Grunde ist es auch nur ein langes Auto. Wenigstens könnte er Signale geben. Wie muss gelenkt werden, wo lauert eventuell ein Poller im Boden. Doch das Angebot wird ausgeschlagen. Wird schon gehen, sagt ihm der Fahrer.
Wieder zurück am Tisch, bleibt also nichts weiter zu tun, als sich die Tragödie weiter anzusehen. Das Gespann gerät mit einem Ruck wieder in Bewegung. Unhörbar für den Fahrer, spricht Cecil mehr zu sich selbst: “Die Kurve schaffst du nicht. Nicht in diesem Winkel.”. Dann ein lautes Geräusch. Der LKW hält abrupt und wankt vor und zurück. Anscheinend ist er irgendwo hängen geblieben. Doch der Fahrer gibt dessen ungeachtet wieder Gas. Immer spitzer wird der Winkel. Kurz darauf brechen die zwei letzten Anhänger ab und landen mit einem kreischend-kratzenden Geräusch auf dem Asphalt. Cecil kann sich ein lautes “Oh s***” nicht verkneifen, das Sarah unsanft aus dem Schlaf reißt. Sie ist hellwach und fragt völlig verängstigt, was jetzt wieder passiert sei. Kurz dachte sie, dass Koby und damit sie von einem LKW überrollt wird. Cecil erläutert kurz, was passiert ist und läuft rüber.
Dort trifft er den Fahrer erneut an der “Unglücksstelle”. Jetzt kommt jede Hilfe zu spät. Auf dem Tablet gucken wir schnell, wo der mittlerweile nicht mehr ganz so entspannte Unglücksrabe Handyempfang haben könnte. Hier muss mindestens ein Gabelstapler ran. Die Kupplung des mittleren Anhängers liegt auf der Straße. Metallstützen mit gut 10 cm Durchmesser sind umgeknickt wie Streichhölzer. Heute ist da nichts mehr zu machen. Der Mann setzt die Zugmaschine und den einen am Fahrzeug verbleibenden Anhänger um und will sich morgen um die Bergung kümmern. Das wird kein erfreuliches Telefonat mit seinem Boss.
Sarah wartet unruhig auf Cecil. So gut es geht versucht der das Erlebte im Detail wiederzugeben. Immerhin schützen uns nun die zwei Anhänger, die dort mitten auf dem Weg liegen, wohl vor weiteren ungebetenen Besuchern. Zumindest für heute Nacht...
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