10.06., Mittwoch: Tia Falls - Motten von einem anderen Planeten

Die Nacht über hat es gelegentlich geregnet. Jetzt scheint es nur noch von den Bäumen aufs Zelt zu trotpfen. Leider erwartet uns draußen dichter Nebel. Immerhin ist es nicht sehr kalt. Am sofort entfachten Lagerfeuer halten wir es alle Mal aus. 
Das Frühstück wird von leichtem Nieselregen begleitet. Da wir nicht wollen das Wolle oder Buch nass werden, aber auch das wärmende Feuer nicht aufgeben wollen, schmieden wir zunächst einen Plan für die kommenden Tage. Der sieht ungefähr wie folgt aus: Morgen fahren wir zu den Apsley Falls und suchen uns in der Nähe von Armidale einen Campingplatz. Übermorgen wollen wir dann in Armidale den Pfand wegbringen und Wäsche waschen. Koby könnte ebenso eine Wäsche vertragen.
Während wir so überlegen, erinnert sich Cecil, dass sein Freund Leo Bekannte in Brisbane hat. Unter Umständen könnte das unsere Eintrittskarte nach Queensland sein. Aber eine 14-tägige Quarantäne würde wohl trotzdem auf uns zukommen. Mit dieser Aussicht ist es wohl doch besser, wenn wir weiterhin NSW erkunden. Außerdem haben wir noch einen kleinen Hoffnungsschimmer in Form der Känguru-Aufzuchtstation. Leider haben wir dahingehend aber noch keine Nachricht bekommen.
Gegen 10 Uhr scheint sich die Wetterlage etwas zu unseren Gunsten zu drehen. Die Sonne intensiviert ihre Bemühungen sich gegen den lichter werdenden Nebel durchzusetzen. Sicherheitshalber verbringen wir weitere 45 Minuten mit Stricken und Tagebuch schreiben. Dann ist klar, dass es sich nicht nur um eine kleine Kapriole handelt und wir machen uns bereit den Tiara Walk zu begehen. 


Kurz vor Sonnenuntergang sind gestern noch zwei Campervans auf dem Platz angekommen. Deren Besatzung macht sich unglücklicherweise genau zur selben Zeit auf den Weg. Typisch. Kaum eine Menschenseele weit und breit, aber wir müssen uns den Weg mit drei weiteren Wanderern teilen. Wir schaffen es gerade noch so uns vor dem Trio in Bewegung zu setzen, was unserer Meinung nach die Chancen auf Tiersichtungen erhöht. 


Bereits nach nur 500 m scheint sich unsere Annahme zu bestätigen. Wir sind gerade dabei den Tiara River über eine hölzerne Brücke zu queren, da springt flussaufwärts ein Känguru durchs Unterholz. Von der Brücke aus halten wir zudem Ausschau nach dem sagenumwobenen Platypus, auch Schnabeltier genannt. Nachdem wir bereits auf unserer Reise vor gut zwei Jahren, etliche Stunden damit verbracht haben ein Exemplar aufzuspüren, haben wir es eigentlich fast aufgegeben. Genauer gesagt gehen wir zwei und da sprechen Experten, die sich direkt vor Ort befinden, davon aus, dass das Schnabeltier bereits vor etlichen Jahren ausgestorben ist. Jüngste Sichtungen entspringen höchstens den verqueren Gedankenwelten irgendwelcher armer Irrer, die behaupten ein Platypus gesehen zu haben, während sie sich auf dem Weg zum Kaffekränzchen beim guten alten Bigfoot befanden. Kurzum ein Mythos. Trotzdem müssen wir zugeben, dass wir jegliches Gewässer langanhaltend anstarren. Immer in der Hoffnung, die Welt der Wissenschaft zu revolutionieren, indem wir das von uns lange für ausgestorben gehaltene Kloakentier wieder entdecken. Um es vorwegzunehmen, wir kriegen wieder kein Schnabeltier zu Gesicht. Dafür kreuzen ein weiteres Känguru und ein Wallaby unseren Weg. Dazu passieren wir einen riesigen Termitenhügel, der gute 2 Meter hoch ist.


Waldbrände gab es auch hier...

Am Ende des Weges betreten wir eine Aussichtsplattform am Rande der Schlucht. In der Ferne sehen wir die Tia Falls in ihrer vollen Pracht. Im Tal fließt der Fluss in unsere Richtung über etliche Kaskaden und weitere kleine Wasserfälle. Leider ist es immer noch sehr neblig und das Licht dadurch zu schummrig für eine vernünftige Aufnahme.




Kurz nach uns erreichen die anderen Camper die Plattform. Da diese recht klein ist, warten sie dankbarerweise auf dem Weg davor. Wir lassen uns zum Glück nicht so schnell vertreiben, denn auf einmal reißt die Wolkendecke auf und produziert einen fulminanten Regenbogen, der sich über den ganzen Canyon erstreckt und die Tia Falls umrahmt. Wir sind völlig überfordert. Natürlich wollen wir dieses Schauspiel für später festhalten. Auf der anderen Seite darf man solche Momente auch nicht nur durch die Linse einer Kamera verfolgen. Wir schaffen es einen Kompromiss zu finden und nach nicht mal zwei Minuten hat der Spektakel schon wieder ein Ende. Die Wolkendecke schließt sich und wir überlassen die Plattform den anderen Wanderern. 



Zurück am Auto beginnt es zu nieseln. Dann regnet es sich richtig ein. Wir fangen das Regenwasser mit einer Flasche auf, die wir an einer der Stangen vom Awning platzieren. Sarah widmet sich wieder dem Stricken und wird mit ihrer ersten Mütze fertig. Die sieht für den ersten Versuch richtig gut aus und trägt sich sehr angenehm. Sie ist zurecht stolz auf sich. Wieder ein erfolgreich abgeschlossenes Strick-Projekt. 


Cecil beginnt ein neues Buch. Ein weiteres Werk von Bill Bryson: “The Lost Continent - Travels in Small-town America”. Wie der Titel verrät, ist er für dieses Buch in Amerika unterwegs. Auch wenn hier örtlich keine so direkte Verbindung besteht, ist der Stil in dem Bryson schreibt ungebrochen witzig und unterhaltsam. 

Währenddessen wechseln sich Regen und Sonnenschein munter ab. Für eine längere Phase scheint sich die Sonne durchzusetzen. Doch gerade als sich Cecil dazu entschlossen hat in diesem Sinne das Solar-Panel aufzubauen, gibt es einen deftigen Guss und er baut alles wieder ein. 
Sarah muss eine ähnliche Erfahrung machen. In einer weiteren Regenpause kann sie sich aufraffen und baut am nahen Camping-Tisch alles für ein Workout auf. Kurz bevor sie beginnen möchte, setzt ein weiterer Schauer ein. Das ganze Training findet dann unter dem Mini-Zelt an der Leiter statt. Spaß macht das so erst recht nicht. 
Generell geht das Wetter langsam aber sicher an die Substanz. Uns ist kalt, unsere Sachen sind größtenteils durchgeweicht und dreckig sind wir allemal. Da es nicht aufhören will zu regnen, sind wir im Zugzwang. Kurzerhand lösen wir die Halteseile vom Dachzelt und dem Awning und setzen Koby einige Meter zurück. Jetzt können wir ein Lagerfeuer entzünden und uns daran Aufwärmen ohne nass zu werden. 


Der ein oder andere Leser wird sich jetzt fragen, warum wir das nicht bereits viel früher gemacht haben. Ehrlich gesagt, haben wir uns das im Folgenden auch recht häufig gefragt. Kurz nach dem Abendessen wird uns aber ein triftigen Grund frei Haus geliefert. Riesige Motten, so groß wie ein Berliner Spatz, der sich zu lang in der Nähe einer Pommes-Bude niedergelassen hat, fliegen uns an. Das mag leicht übertrieben klingen, doch wir denken nicht zu übertreiben, wenn wir von einer Körperlänge von mindestens 10 cm und einer Flügelspannweite von locker 15 cm sprechen. Wir haben solche gigantischen Nachtfalter auf jeden Fall noch nie gesehen. Einer nach dem anderen flattert unter unser Awning, stößt uns, ganz zu unserer Freude, noch 1-2 Mal gegen das Gesicht oder dippt kurz in unserem Essen ein. Nur um kurz darauf der unberechenbaren Thermik des Lagerfeuer zu erliegen und sich anschließend in die todbringende Glut zu stürzen. 
Nachdem wir erst von einem Einzelfall ausgegangen sind, fängt sich das Ganze an im Minutentakt zu wiederholen. Auch wenn wir solch riesige Falter nicht unbedingt in unseren Gesichtern oder in unserem Essen haben wollen, ist es hart diese, auf ihre Art schönen, Geschöpfe reihenweise in Flammen aufgehen zu sehen. Dazu entfaltet dieser Genozid der Motten einen unaustehbaren Geruch von verbranntem Fleisch, der uns schlussendlich vorzeitig zu einer Flucht ins Zelt zwingt . Nach Kälte und Regen fährt Mutter Natur jetzt wohl die ganz harten Geschütze auf, um uns das Leben schwer zu machen.

Lagerfeuer, noch leichenfrei

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