18.11., Mittwoch: Najada Rockhole Rest Area - Zweierlei Quarantäne

Der Wecker klingelt pünktlich um halb fünf. Wir fühlen uns wie gerädert. Leider war es nicht nur ein schlechter Traum. Western Australia schließt heute um 18 Uhr seiner Zeit die Grenze zu South Australia. Das bedeutet bis 20 Uhr unserer Zeit müssen wir drüben sein. Danach kann man nur noch mit Ausnahmegenehmigung einreisen. Kurz überlegen wir ein letztes Mal, ob es wirklich die richtige Entscheidung ist, heute Hals über Kopf aufzubrechen. Doch wir bleiben dabei.
 

 
Nach einem schnellen Frühstück packen wir das Zelt ein und verabschieden uns von den Kängurus, die sich bereits wieder auf dem Platz eingefunden haben. Kurz vor Abfahrt bekommen wir beide eine Email. Unsere Borderpässe wurden für ungültig erklärt. Wir lesen noch mehrmals das offizielle Statement der Regierung von Western Australia und sind uns weiterhin sicher, dass wir noch Zeit bis heute Abend haben. Wir lassen uns von der Email daher nicht weiter verunsichern. Um 07:30 Uhr geht die Fahrt los.
Im Nationalpark herrscht ein striktes Tempolimit von 40 km/h. Zwar haben wir es wirklich eilig, doch wir halten uns besser daran. Wir haben gesehen, wie viele Tiere hier herumlaufen. Das Letzte, was wir wollen, ist eines davon zu überfahren. Tatsächlich kreuzen mehr als einmal plötzlich Emus auf der Straße auf. Sogar ein kleiner Baby-Emu läuft uns vors Auto, doch alles geht gut. Nachdem wir auch noch einem Känguru ausgewichen sind, lassen wir die Parkgrenze hinter uns. Ab hier wird die Fahrt etwas weniger aufregend.
850 km sind es bis zur Grenze. Während Cecil sich auf die Straße konzentriert, kann Sarah die Zeit anderweitig nutzen. Als Erstes schreibt sie die Parkverwaltung an. Kurz bevor wir die schlechten Nachrichten mit WA erhalten haben, hatten wir noch für die heutige Nacht unseren Aufenthalt auf dem Campingplatz verlängert. Wir hoffen, auf eine Kostenerstattung. Danach schaut sie nach geeigneten Unterkünften für unsere Quarantäne. Das erweist sich als gar nicht so einfach. Immerhin brauchen wir ein eigenes Bad und im besten Fall auch eine kleine Küche. Bei den Angeboten von AirBnB ist es dazu schwer herauszufinden, ob gewisse Räume geteilt genutzt werden. Ohne wirklich zu einem Ergebnis zu kommen, bricht sie bald wieder ab. Die Verbindung wird zudem immer schlechter.

Ausgerechnet heute ist auf den Straßen total viel los. Damit meinen wir nicht den klassischen Verkehr. Es sind etliche Tannenzapfen-Skinke, die alle Nase lang den Highway queren. Einem können wir leider nicht mehr ausweichen. Man spürt deutlich, wie wir den armen Kerl überfahren. Auch wenn es nicht unsere Schuld oder Absicht war, fühlen wir uns beide gleichermaßen schlecht. Sogar ein paar Tränen stehen uns in den Augen. Kurz bevor wir Ceduna erreichen, begeht außerdem noch ein Vogel Selbstmord. Er taucht aus dem Nichts auf und knallt Koby auf die Windschutzscheibe. Hoffentlich geht das nicht den ganzen Tag so weiter.
In der Stadt legen wir um 11:30 Uhr den ersten Tankstopp ein. Zum Mittag gibt es für uns einen Burger von Hungry Jacks. Im dort verfügbaren WLAN schauen wir erneut nach Unterkünften. Cecil findet doch etwas bei AirBnB und man hat angeblich alles für sich allein. Mit Küche, eigenem Bad und WLAN. Wir wollen trotzdem noch immer nicht buchen, ohne Gewissheit zu haben. Die Hoffnung ist, dass wir am Grenzübergang Empfang haben und von dort aus buchen können, wenn wir nach Western Australia einreisen dürfen.
Von Ceduna aus sind es noch weitere 500 km bis Eucla. Je näher wir der Grenze kommen, desto nervöser werden wir. Wir passieren die Nullarbor Plain, einer baumlosen Fläche, die sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckt. An einem Roadhouse sehen wir zwei streunende Dingos. Weder Natur noch Tiere können wir allerdings heute genießen. Das Einzige, was zählt, ist, dass wir es rechtzeitig zur Grenze schaffen.
 

Unterwegs treffen wir bald auf ein Schild, auf dem auf die Quarantänezone hingewiesen wird. Allerdings geht es dabei nicht um den Corona-Virus, sondern den Kampf gegen die gemeine Fruchtfliege. Obst und Gemüse dürfen nicht nach Western Australia eingeführt werden. Daran hatten wir gar nicht mehr gedacht. Was für ein Glück, dass wir erst vor wenigen Tagen ganz groß einkaufen waren und der Kofferraum voll ist mit Obst und Gemüse. Wir sind nicht ganz sicher, wie streng die Kontrolle werden wird. Doch sicherheitshalber essen wir noch schnell zwei Kiwis. Mehr geht in diesem Moment nicht rein. Zu groß ist langsam die Anspannung.
 

Um 17:30 Uhr erreichen wir die Grenze. In Western Australia ist es zu diesem Zeitpunkt erst 15:45 Uhr. Zeittechnisch ist damit alles im grünen Bereich. Ein Polizist kommt zu uns und scannt die Codes unserer Borderpässe. Cecils wird abgelehnt, Sarahs kurz darauf auch. War es das jetzt schon? Sind wir 850 km umsonst gefahren? Bevor wir einen klaren Gedanken fassen können, meint der Polizist, wir sollten einfach zu seinen Kollegen gehen, die am Roadhouse stehen. Die könnten unsere Pässe manuell prüfen. Da alle Pässe mittlerweile für ungültig erklärt wurden, werden nur noch die wenigsten vom System automatisch durchgewunken. Es gibt also noch Hoffnung.
Wir parken vor dem Roadhouse und schauen zunächst, ob wir hier Empfang haben. Immerhin müssten wir noch eine Unterkunft buchen, wenn wir einreisen dürfen. Leider haben wir hier draußen kein Netz. Es wird uns zwar ein Wlan vom Roadhouse angezeigt, doch dieses ist mit einem Passwort gesichert. Vielleicht erhalten wir das Passwort, wenn wir danach fragen.
Mit leicht zitternden Beinen gehen wir auf den Polizisten zu, der mit einem Kollegen neben dem Eingang steht. Kurz erläutern wir die Situation, dann werden wir gebeten drinnen zu warten. Der “Inspector” sei gerade noch beschäftigt, aber jeden Moment für uns da. Es fühlt sich seltsam an, vor den Polizisten mit Maske zu stehen. Im Roadhouse bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten. Kurz sorgt der laufende Fernseher für ein wenig Ablenkung. Ein Känguru hat sich in ein Einkaufscenter verirrt. Wir müssen schmunzeln. Doch dann holt uns die Realität wieder ein.
Wir sind sichtlich nervös, als der Kommissar, wie man “Inspector” am ehesten übersetzen kann, hereinkommt. Er bittet uns ihm in einen kleinen Nebenraum zu folgen. Was ursprünglich wohl das Restaurant der Tankstelle war, wurde zu einer Art Besprechungsraum umgebaut. Der Kommissar bittet uns mit ihm an einen Tisch, zwei Kollegen nehmen an weiteren Tischen Platz, die ein wenig abseits stehen. Wir müssen unsere Personalien angeben, damit unsere Borderpässe im System freigeschaltet werden können. Nachdem das erfolgt ist, werden wir nach der Adresse unserer Unterkunft gefragt, in der wir die Quarantäne verbringen werden. Wir erkundigen uns danach, ob man zwischendurch wechseln kann. Ab dem 24.12. könnten wir bei Cecils Freundin Roseanna unterkommen. Eine richtige Antwort erhalten wir daraufhin nicht. Es gibt verschiedene Service-Hotlines, die uns dazu mehr sagen können. Für den Moment müssen wir eine Adresse angeben, an der wir für 14 Tage bleiben können.
Da wir noch immer kein Netz haben und auch noch immer kein Passwort für das Wlan, aktiviert kurzerhand einer der Polizisten den Hotspot seines Handys. Anscheinend kennen sie das bereits. Während Cecil das AirBnB heraus sucht, welches wir uns vorhin ausgeguckt haben, werden unterdessen unsere Borderpässe erneut gescannt. Jetzt sieht alles gut aus. Fehlt nur noch die Unterkunft.
Wie es das Schicksal will, ist das AirBnB mittlerweile ausgebucht. Wir sind der Verzweiflung nahe. Hektisch schauen wir nach einer Alternative. Niemand hetzt uns direkt, doch wir wollen die Geduld und Hilfsbereitschaft der Beamten nicht überstrapazieren. Endlich finden wir etwas passendes. Allerdings können wir nicht direkt buchen, sondern lediglich eine Buchung anfragen. Die Adresse wird offensichtlich erst angezeigt, sobald die Anfrage genehmigt wurde. Der Stress steht uns langsam ins Gesicht geschrieben.
Nach einigen Minuten bekommt Cecil eine Email des Vermieters. Er fragt, von wo wir anreisen und weist darauf hin, dass sich seine Unterkunft nicht für eine Quarantäne eignet. Wirklich klasse. Zum Glück hat Sarah noch ein Apartment in der Hinterhand, welches sie bei Booking.com vorhin gefunden hat. Das ist ein gutes Stück teurer und verfügt nicht über Wlan. Zudem muss der gesamte Betrag im Voraus gezahlt werden und ist nicht erstattungsfähig. Ein Umzug zu Roseanna fällt damit flach. Doch es hilft nichts. Wir buchen uns ein und bekommen direkt die Bestätigung.
Der Polizist nimmt die Adresse des Apartments auf und verknüpft diese mit unseren Borderpässen. Anschließend folgt eine Belehrung darüber, wie unsere Quarantäne abläuft. Wir müssen uns auf direktem Weg zu der angegebenen Adresse begeben. Die kommende Nacht dürfen wir auf einem Rastplatz am Highway verbringen. Es ist jedem klar, dass wir heute nicht mehr bis Perth durchfahren können. Unterwegs dürften wir, abgesehen davon, nur zum Tanken und zum Essen anhalten. Wenn es geht, sollten wir lediglich zum Mitnehmen ordern und im Auto essen. Außerhalb des Autos müssen wir zudem eine Maske tragen. Sollten wir noch keine haben, könnten wir bei Grenzübertritt seine Kollegen nach einer fragen. Innerhalb von 48 Stunden nach erreichen unserer Unterkunft sowie an Tag 11 unserer Quarantäne müssen wir uns zudem auf den Virus testen lassen.
Er drückt uns zudem zwei Dokumente in die Hand, auf denen alles nochmals nachlesbar ist. Sollten wir gegen unsere Auflagen verstoßen ist mit einer Strafe von bis zu 50.000$ oder sogar bis zu 12 Monaten Gefängnis zu rechnen. Wir sollten das ernst nehmen, denn solche Strafen wurden bereits verhängt. Bevor wir gehen, fragen wir, was wir mit dem Obst und Gemüse machen sollen. Wenn er ehrlich sein soll, hat er keine Ahnung. Wir sollten noch nichts wegschmeißen. Man würde uns dann schon sagen, was in den Müll muss.

Uns fällt ein Stein vom Herzen, als wir wieder draußen bei Koby stehen. Wir können tatsächlich nach Western Australia einreisen. Zwar zahlen wir dafür im wahrsten Sinne des Wortes einen hohen Preis, doch das ist jetzt egal. Das Geld ist so oder so jetzt weg. Es gibt kein Zurück mehr. Bevor wir uns das zweite Mal auf den Weg zur Grenzkontrolle begeben, essen wir noch eine Banane und die angefangene Avocado.
Am Checkpoint werden wir gebeten den Motor abzustellen und den Kofferraum zu öffnen. Eine Grenzbeamtin fragt nach dem Obst und Gemüse, welches wir dabei haben. Kühlschrank und Kühlbox werden genauestens untersucht. Stichprobenartig müssen wir zudem Kisten öffnen und ihr einen Blick gewähren. Gurken, Avocado, Tomaten, Äpfel und die teuren “low-carb” Kartoffeln müssen wir entsorgen. Immerhin die Süßkartoffel dürfen wir behalten. Bevor alles im Abfalleimer landet, fragen wir, ob wir die Lebensmittel noch hier essen düften. Die Beamtin hat nichts dagegen. Sarah kümmert sich um den Rest einer Gurke und wir mümmeln ein paar der Cherry-Tomaten. Während wir eine Avocado halbieren, salzen und anschließend auslöffeln, werden hinter uns bereits die nächsten Fahrzeuge kontrolliert. Es ist eine etwas surreale Situation, doch wir beschließen uns nicht weiter um die argwöhnischen Blicke der umstehenden Polizisten zu kümmern. Wir könnten es nicht ertragen, alles einfach so wegzuschmeißen. Fast hätten wir vergessen nach Masken zu fragen. Wir bekommen jeder eine in die Hand gedrückt, dann dürfen wir einreisen.

Keine 10 km hinter der Grenze halten wir in Eucla zum Tanken. Die Masken zu tragen ist wirklich ungewohnt und bei den hiesigen Temperaturen wirklich kein Vergnügen. Außerdem sind wir quasi für alle markiert worden, weil ansonsten keiner eine Maske trägt. Zum Glück können wir sie im Auto wieder abnehmen. Danach fahren wir nur noch 40 km weiter zu einem Rastplatz. Die Sonne steht bereits so tief, dass es ziemlich blendet. Außerdem kommen wohl bald die Kängurus heraus und wir wollen nichts riskieren. Das wäre ein wirklich mieser Einstand.
Immerhin 912 km haben wir heute zurückgelegt, als wir auf den Rastplatz einbiegen. Wir parken hinter einem kleinen Baum, der dem Zelt hoffentlich etwas Windschutz bietet. Für uns sorgt Koby für selbigen. Nachdem wir in unsere Campingstühle gesunken sind, brauchen wir erstmal einen kurzen Moment um die Situation zu realisieren. Wir sind den ganzen Tag gefahren, haben ein Apartment für über 1.000$ gebucht, in dem wir ab morgen zwei Wochen lang eingesperrt sind. Ob das die richtige Entscheidung war, wissen wir derzeit noch nicht. Falls es in South Australia weiter bergab geht, erscheinen uns 14 Tage Quarantäne jedoch einen fairen Preis. Immerhin steht uns danach ganz Western Australia offen. Wir versuchen daher alle Zweifel zur Seite zu schieben. Es wird schon alles werden.

Als wir die Route für morgen checken, sind wir im ersten Moment etwas platt. Bis nach Perth sind es noch immer 1.395 km. Für einen Tag ist das ein recht ambitioniertes Pensum. Kurz bereuen wir es, heute nicht doch noch den ein oder anderen Kilometer mehr gemacht zu haben. Um morgen früh etwas Zeit zu sparen, machen wir uns spontan daran Sandwiches vorzubereiten. Überraschend zaubert Sarah dafür eine Packung Tomaten aus der Kühlbox. Die hat sie nicht versteckt, die Beamtin jedoch auch nicht darauf hingewiesen. Sarah entschuldigt sich damit, dass die gute Frau quasi mehrfach mit dem Kopf in der Kühlbox hing. Man hatte das Gefühl, sie wollte die Tomaten übersehen.

Es ist kurz nach halb 10, als wir ins Bett gehen. Für heute können wir nur noch versuchen so schnell es geht schlafen. Zwar fährt morgen nicht mehr diese Ungewissheit mit, die uns heute den ganzen Tag begleitet hat. Doch die Fahrt nach Perth wird dadurch sicherlich nicht zur Spazierfahrt.

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